Skip to main content

Sie sind doch bestimmt eine Friedensstifterin!“ strahle ich eine ältere Frau an, die die Treppen vor dem Paderborner Dom herunter kommt und auf das Paradiesportal zugeht. „Na klar!“ antwortet sie und lächelt. „Darf ich ihnen einen Friedensstifter-Kuli schenken?“ frage ich weiter. Sie nimmt ihn gern entgegen und fragt: „Und was kostet der?“ – „Nichts, den gibt’s gratis – einfach so. Das ist das moderne Wort für ‚Gnade‘!“ scherze ich. Und schon sind wir in einem kurzen wunderbaren Austausch. „Danke für unsere so herzliche Begegnung. Die wird mich heute während des Liborifestes begleiten!“ Und schon geht’s weiter. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern kommt vorbei. Auch ihnen biete ich einen Kuli an. „Mit diesem Stift könnt Ihr zu Friedens-Stiftern werden!“ erkläre ich den Kindern. „Wenn ihr gute Worte mit dem Stift schreibt, dann schreibt die Miene richtig gut. Wenn nicht so gute Worte ins Spiel kommen, dann fängt der Zeigefinger, mit dem ihr den Stift haltet, an zu zittern!“ – „Ist das echt so?“ fragen die Kinder nach und schauen in die lachenden Gesichter ihrer Eltern. „Natürlich!“ erwidere ich mit dem Brustton der Überzeugung. „Probiert’s mal aus!“ Lachend gehen wir auseinander.

Friedenssymbole für Libori-Gäste

So haben wir während der Libori-Tage – mit unserem Tiny House direkt am Paradies-Portal stehend - 2000 Friedensstifter-Kulis verteilt und 3000 Taschentücher mit der Aufschrift: „Nimm mich! Und trockne die Tränen der Menschen um dich herum!“ Auch diese Tücher nahmen Menschen vor dem Paradiesportal dankbar mit. „Was für eine schöne Idee, ich weiß auch schon, wem ich das weiterschenken werde!“ und „Macht weiter so!“ durften wir immer wieder hören. Mancher Libori-Gast hatte sich von der kurzen Begegnung ansprechen lassen und ging gestärkt weiter.

Berührende Begegnungen
Auch für spontane Tränen war Raum. Am Tag der Erhebung der Reliquien des heiligen Liborius war es kalt und zugig um den Dom. Ganz leise, von fern her hörte ich – draußen stehend - die festliche Liturgie. Ich hörte Gesang und dann den Liboritusch. Zur gleichen Zeit verließen einige ältere Menschen den Dom.Sie sprachen mich an.

„go4peace – das heißt doch für den Frieden zu gehen – oder?“ Und dann begannen sie zu erzählen.

„Es war nicht leicht, mit mir selber in Frieden zu finden. Ich bin in einem Internat gewesen, in kirchlicher Trägerschaft ... Ich habe eine große Abfindung bekommen!“ Als ich das höre, sehe ich Tränen in den Augen dieses alten Mannes. „Und ich bin auch 10 Jahre Priester gewesen, wie Sie. Aber ich konnte nicht mehr und bin gegangen. Mich zu versöhnen – auch mit der Kirche - das war ein langer Weg“, erzählt mir ein anderer. Wir sind einfach da, hören zu, ermutigen, halten mit aus und sagen DANKE.

Mit einer gehbehinderten Frau, die gern eines der Taschentücher entgegennahm, kam ich auf den Treppen vor dem Dom länger ins Gespräch. Sie schien enttäuscht und hatte den Mut, mir ihre Enttäuschung anzuvertrauen.
„Libori war ja auch mal ein geistlicheres Fest. Aber das habe ich kaum gefunden.“ Ich ließ ihren Schmerz an mich heran und erzählte ihr behutsam von unserem Friedens-Engagement mit jungen Menschen aus ganz Europa und von den kleinen Impulsen des Evangeliums, die über die go4peace-App täglich viele Menschen auf unserem Kontinent erreichen. Gebannt hörte sie zu. Die Enttäuschung wich aus ihren Gesichtszügen. Sie begann von ihrer Tochter zu erzählen, die schwerstbehindert vor gut zwei Jahrzehnten geboren worden war und um die sie sich sehr gekümmert hatte. „Sie hat uns gelehrt, was im Leben wichtig ist. Sie hat eine ganz große Nähe zu Jesus gelebt und ist wirklich reif geworden zum Tod, besser gesagt zur zweiten Geburt ins Leben hinein. Letztes Jahr ist sie verstorben und weder unser Pastor noch all unsere Nachbarn sind auf ihren letzten Lebensmetern gekommen, um sich zu verabschieden. Auch diese Enttäuschung über Menschen und über die Kirche musste ich erst einmal verarbeiten.“
Schweigend standen wir auf den Domtreppen – umströmt von vielen Menschen. Ich hielt ihren Schmerz und ihre Enttäuschung mit aus. Plötzlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und sie sagte: „Unser Gespräch hat mein Libori gerettet. Von Herzen Danke!“

Navigation ins Leben
Ein älterer Mann mit Fahrrad gesellte sich an unseren Stand. „Dieses navi4life hat mich stark angezogen. Sie machen da ein tolles Projekt. Ich bin Jurist und vor wenigen Monaten pensioniert worden. Dann hab ich mich aufs Fahrrad gesetzt und bin über 2000 Kilometer gefahren. Da musste ich mich immer wieder neu navigieren lernen. Aber je älter ich werde, desto besser gelingt das für mein Leben. Und das Leben hat auch mich navigiert. Ich hab mich seit ein paar Jahren in der Flüchtlingshilfe engagiert. Neulich war ich eingeladen, in Ulm an einer Promotionsfeier teilzunehmen. Ein junger Arzt aus Syrien, den ich lange begleitet habe, hat dort seine Ausbildung mit Erfolg abgeschlossen. Toll, dass Ihr die jungen Leute stark macht für ihr Leben und ihnen helft, sich ins Leben zu wagen!“

Ein Tiny House am Paradiesportal
„Ist das ein Tiny House?“ wurden wir immer wieder gefragt. „Das ist ja echt schön. Darf ich mal reinschauen?“
Und schon ergab sich ein neues Gesprächs-Setting – oft für längere Zeit. Ein älterer Mann hatte längere Zeit dem Treiben am Tiny House zugeschaut. Dann kam er und folgte mir ins Tiny House. Er kannte mich und sprach laut meinen Namen aus. Ich schaute in sein Gesicht, ohne seinen Namen in meiner Erinnerung zu finden. Als er sich zu erkennen gab, entdeckten wir, dass wir uns vor 33 Jahren das letzte Mal in Jerusalem begegnet waren. Voller Güte schaute er mich an. „Wie gut, dass Du all die Jahre auf Dein Herz gehorcht hast und ihm treu geblieben bist. Du hast Dich auf die abenteuerlichen Wege Gottes mit Dir eingelassen. Ich habe eben eine ganze Zeit dem Leben am Tiny House zugeschaut. Welche Leichtigkeit und Freude, welche Zugewandtheit und Offenheit, ja welche gegenseitige Liebe ist mir da entgegengekommen.  Aus diesem Geist heraus, den ich unter Euch hier am Tiny House spüre, habe auch ich mein Leben gelebt. Und es war – trotz aller Brüche - gut so!“ Dann klopfte er mir auf die Schulter und ging. Tief berührt blieb ich zurück. Ein Engel hatte meinen Weg gekreuzt.

Tag für Tag setzte sich die Tagesgruppe am Tiny House aus neuen Personen zusammen –  jung und alt machten sich auf den Weg, um Menschen anzusprechen und für den Frieden zu begeistern.

Und jeder einzelne nahm Erfahrungen und Begegnungen mit nach Hause, die geschenkt worden waren – ob beim Verteilen der Giveaways oder beim Kahoot-Quiz auf dem großen Bildschirm des Tiny Houses, ob beim Gespräch im Tiny House oder beim Herstellen von Armbändern, ob im Gespräch über den Projekt-Horizont „navi4life“ oder beim Anbieten kleiner Schokoladen mit der Aufschrift „Schön, dass Du da bist!“
Wie schön, am Ende eines Tages immer wieder kurze Reaktionen lesen zu dürfen: „Hallo, ich fand es heute wieder extrem schön! Der ganze Tag hat mir sehr viel Freude bereitet!“ oder: „Der Tag hat mir viel Spaß gemacht und ich hab mich neu ausprobieren dürfen! Ich hab’s geschafft, auf fremde Leute zuzugehen!“  oder: „go4peace in Paderborn hat uns sehr gut gefallen! Die tolle Organisation und Umsetzung durch Euch haben wir wie die vielen, vielen Besucher sehr genossen. Vielen Dank, dass wir etwas unterstützen durften. Wir hatten wirklich schöne Begegnungen. Und für meinen Freund war es eine ganz neue Erfahrung!“

Europaweites Netzwerk
Und dann war da noch connected4you. 12 Gruppen junger Leute arbeiteten parallel zu unserem Libori-Engagement in Albanien und Bosnien und Herzegowina, in Deutschland, Portugal und Rumänien, in Slowenien und der Ukraine für andere Menschen.

Wir folgten - alle gut vernetzt - dem Motto „Don’t stop giving!“ Am Samstagabend trafen wir uns via Internet-Schaltung, um uns zu erzählen, was wir gelebt und erlebt hatten. Wir wurden Zeugen eines brennenden Engagements für Kinder und ältere Menschen in Not. Nataliia in der Ukraine, ließ sich tief in ihre Seele schauen. „Wir haben hier in unserem Dorf über 200 Kindern schöne Ferientage ermöglichen können. Mir haben diese Tage sehr geholfen, meinen Schmerz in Liebe zu verwandeln. Ich habe vor 8 Monaten meinen Ehemann verloren. Er ist im Süden der Ukraine im Krieg gefallen. Dieser Schmerz hat mich fast zerrissen. Ich musste irgendetwas tun. So habe ich entschieden, mich im Camp für die Kinder zu engagieren. Die Freude der Kinder hat mein Herz tief berührt und wieder froh gemacht.“ Bewegt hörten wir zu und hatten den Eindruck, Gott ist am Werk!

So spüre ich einen großen Dank für die 48 Projektbeteiligten „auf Libori“, die uns in den Tagen unterstützt haben, im Herzen und für die über 100 jungen Engagierten unter dem Projekt-Horizont „connected4you“. Als der Hausmeister des Domes am Tag der Abreise noch kurz vorbeikam, schmunzelte er und sagte: „Cool, wie ihr auf die Leute zugegangen seid. Das hat dem Dom gut getan. Und nächstes Jahr seid ihr doch bestimmt wieder dabei. Ich halt Euch den Platz auf jeden Fall frei!“

Meinolf Wacker